Weißer Germer

Veratrum album, Einbeerengewächse

Bestimmungsmerkmale:
Die Blüten des Weißen Germers stehen einer endständigen Rispe, die über 50 cm lang werden kann. Die Farbe der Blüten ist innen weiß bis gelblich und außen grünlich. Seine Blätter sitzen wechselständig, im Gegensatz zu dem ähnlichen  Gelben Enzian, dessen Blätter gegenständig angeordnet sind. Sie haben eine breite elliptische Form und sind an der Unterseite behaart. Die Blätter verströmen einen starken Geruch und fallen auch durch ihre Bogennerven auf.
Die Pflanze wird 50 - 150 cm hoch und blüht von Juni - August.

Standort und Verbreitung:
Der Weiße Germer wächst auf Alpenwiesen und auf Hochstaudenfluren, er liebt feuchten, stickstoffreichen und etwas kalkhaltigen Boden. Sein Verbreitungsgebiet ist Mittel- und Südeuropa.

Giftstoffe, Wirkung und Symptome:
Der Weiße Germer enthält Steroidalkaloide, wie Protoveratrin, Germerin und Veratramin.
Die höchste Konzentration der Giftstoffe findet sich in der Wurzelknolle, aber auch die restliche Pflanze ist giftig.
Je höher ihr Standort, desto geringer ist übrigens ihr Wirkstoffgehalt. Als tödliche Dosis gelten für einen Erwachsenen 10 - 20 mg der Alkaloide, was etwa 1-2 g der Wurzeln entspricht. Eine Vergiftung durch den Weißen Germer, infolge Verwechslung mit dem Gelben Enzian ist schnell möglich, z. B. bei der eigenen Schnapsherstellung. Die Giftstoffe können über die Schleimhäute und durch die unverletzte Haut in den Körper eindringen. Die Vergiftungserscheinungen sind Kribbeln im Mund, erhöhter Speichel- und Tränenfluß, Niesreiz, Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Die Schleimhäute fühlen sich taub an, dieses Gefühl breitet sich über den ganzen Körper aus. Bei starker Vergiftung erfolgen Muskelzucken, Krämpfe und Kollaps. Der Tod kann nach 3 - 12 Stunden durch Herzstillstand und Atemlähmung eintreten. Die Vergiftungssymptome ähneln denen des Blauen Eisenhutes. Die Alkaloide des Weißen Germers sind starke Nervengifte, die insbesondere auf die Nervenenden der Haut wirken. Daher rührt auch der Niesreiz, der bereits nach Aufnahme von 1/50000 g der wirksamen Stoffe entsteht.

Tiergiftig:
Von Weidetieren wird der Germer meist gemieden, dennoch ist er für die Tier hoch giftig. Die Tiere leiden unter Durchfällen, Koliken, verlangsamter Atmung und Lähmung. Auch im Heu bleiben die Giftstoffe enthalten und so ist es auch schon zu tödlich verlaufenden Vergiftungen bei Pferden, Rindern und Schafen gekommen. Die tödlich giftige Menge ist für Pferde, Rinder und Kühe 1 g der frischen Wurzel auf 1 Kg Körpergewicht, bei Schweinen liegt die tödliche Menge bei 15 g pro Kilo Körpergewicht, bei Hunden bei nur 0,1 g pro kg Körpergewicht. Der Germer ist auch stark toxisch für Katzen, Hasen und Kaninchen.

Heilwirkung und Medizinische Anwendung:
Die Alkaloide des Weißen Germers wirken betäubend und blutdrucksenkend. In der Homöopathie findet eine Essenz aus der Wurzel Anwendung bei Darmerkrankungen, Brechdurchfall, Kreislaufschwäche, Asthma und Bronchitis. Sie wird auch bei Psychosen eingesetzt. Die Veterinärmedizin verwendet die Droge äußerlich als Läusemittel und setzt sie bei Krätze ein. Ferner findet sie Anwendung als Brechmittel und bei Muskelerkrankungen.
Vergiftungen waren früher, bedingt durch unsachgemäße Anwendung, häufig.

Name:
Die Pflanze wird auch Nieswurz, Läusewurzel und Lauskraut genannt. Im Althochdeutschen findet sich der Name germara für den Germer. Der Gattungsname Veratrum leitet sich wahrscheinlich von verare für wahr reden ab. Dies steht wohl damit in Verbindung, dass ein "beniestes Wort" auch ein wahre Wort sei, wie es das Sprichwort sagt (die Pflanze erregt, wie schon erwähnt den Niesreiz). Der Artname album bedeutet weiß und nimmt Bezug auf die Blütenfarbe.

Geschichtliches:
In der Antike verwendete man den Germer oft als Mordgift. Die Ärzte des Altertums wussten um seine Wirkung als Brech- und Niesmittel. Mit dem Gift des Weißen Germers wurden auch Pfeile präpariert. Auch im Mittelalter war die heilende, sowie die tödliche Wirkung der Pflanze bekannt. Man benutzte sie z.B. als Mittel gegen Cholera, Fallsucht, Wassersucht, Hüftleiden und auch gegen Zahnschmerzen. Hieronymus Bock warnt vor dem Gebrauch der Pflanze, die damals noch Nieswurz genannt wurde: "Etliche Landtstreicher geben Nießwurz ... den leuten zu allerhand Presten inn Leib / wer nun nicht will gewarnet sein / der fahr hien / esse und drinck jmmer Nießwurz / ... ."
Tabernaemontanus schreibt unter anderem: "Wann man die Fliegen vertreiben will / soll man Nieswurz in Milch sieden / und ihnen fürstellen / so viel dann darvon essen / sie müssen sterben: Dergleichen mit Mähl vermischet / und den Mäusen dargestellet / müssen sie auch sterben."